«Lieblingsorte sind wichtiger für uns, als wir denken»

Wie finden wir Lieblingsorte, und was lösen sie in uns aus? ­Awareness-Coach Simone Tschopp über die Bedeutung der Plätzchen, an denen wir uns wohlfühlen, und Gesellschaftstrends wie «Hygge», «Homing» und «Cocooning».

 

Welches sind Ihre Lieblingsorte im Haus, Frau Tschopp?

Simone Tschopp: Mein kleines Samtsofa in der Wohnküche. Darauf schlafe ich regelmässig ein, wenn ich eigentlich ins Bett sollte. Und der Ess­tisch, an dem ich mich oft und gerne aufhalte. Draussen ist es die Hängematte auf meinem Balkon. Hängematten haben generell eine wohltuende Wirkung auf mich, egal wo sie sich befinden.

Und in der Natur?

Dort habe ich viele Lieblingsorte. Zum Zeitpunkt dieses Interviews halte ich mich in Santa Teresa im Westen von Costa Rica auf. Vor anderthalb Jahren war ich zum ersten Mal hier und blieb länger als geplant, weil mich die Atmosphäre fesselte. Dieses Jahr kam ich hierher, um an einem vertrauten Ort vom Ausland aus zu arbeiten und spürte den gleichen Effekt. Als ich zwischenzeitlich eine Woche in Mexiko verbrachte, hatte ich fast schon Heimweh nach Santa Teresa und den Stränden hier. Meine Lieblingsorte in der Natur befinden sich meistens im Wald, ich mag Bäume sehr. Als ich in der Nähe des Gurtens wohnte, hatte ich da einen Lieblingsbaum, der mir immer wieder Freude bereitete. Meine Lieblingsorte sind oft auch verbunden mit Aktivitäten wie Surfen, Klettern und Mountainbiken.

Wie wichtig sind solche Lieblingsorte für uns?

Sehr wichtig. Ich weiss nicht, ob sich jeder Mensch bewusst ist, welche Orte das für ihn sind. Für die eine ist es eher der Wald, für den anderen ein Seeufer, das ist sehr individuell. Grundsätzlich handelt es sich dabei um Orte, die man immer wieder aufsucht, weil sie einem guttun. Gemäss einer Studie suchen fast 80 Prozent der Menschen solche Orte immer wieder auf. Der Wiederholungseffekt ist sicher ein Merkmal für Lieblingsorte.

Wie findet man seinen persönlichen Lieblingsort?

Wenn es ums Reisen geht, kann man darauf achten, von wo man Souvenirs mit nach Hause genommen hat und welche davon einem wichtig sind. Souvenirs und Fotos wirken nämlich wie ein Trigger für gute Gefühle und positive Erlebnisse. Die Frage, wo man hingeht, wenn man das Bedürfnis nach Geborgenheit und Entspannung hat, gibt auch klare Hinweise. Ich denke, dass viele Lieblingsorte banaler sind, als man vielleicht denkt. Vielleicht ein Küchentisch, die Badewanne oder ein bestimmter Stuhl.

Eine Studie der Organisation National Trust, die sich in Grossbritannien um Orte von historischem Interesse oder von besonderer Naturschönheit kümmert, hat gezeigt, wie stark unser Hirn Freude und Geborgenheit mit Lieblingsorten verbindet. Die Reize, die durch Bilder solcher Orte ausgelöst werden, sind demnach viel stärker als Reize durch materielle Dinge.

Vereinfacht gesagt verfügen wir über drei Gehirne: das Stammhirn, das für unser Überleben verantwortlich ist, das Grosshirn, das unser Denken übernimmt, und das emotionale Hirn. Letzteres reagiert sehr stark auf solche Orte. Wir selber haben immer das Gefühl, dass das Grosshirn – also unser Denken – dominant ist. Aber eigentlich sind die anderen beiden stärker. Ob bewusst oder unbewusst: Wie unser emotionales Hirn auf Orte reagiert, hat eine grosse Bedeutung für uns. Die Studie zeigt unter anderem, dass wir auf ländliche Gegenden besonders positiv reagieren. Das liegt sicher auch am sogenannten Biophilia-Effekt, der beschreibt, dass der Wald und die Natur einen stärkeren Effekt auf unsere Psyche und unsere körperliche Gesundheit haben, als wir bisher dachten.

Viele Menschen sehnen sich nach Geborgenheit, das zeigen Trends wie «Cocooning» und «Hygge». Woran liegts?

In der globalisierten Welt von heute haben wir sehr viele Freiheiten: Wir können uns im Internet mit der ganzen Welt verbinden und die Welt auch sehr einfach bereisen. Das Bedürfnis, in die Welt hinauszugehen und uns mit ihr zu verbinden, ist daher sehr gut abgedeckt, deshalb rückt ein anderes Bedürfnis stärker ins Zentrum: Wir müssen darauf achten, dass wir auch die Gemütlichkeit und die Heimeligkeit pflegen. Der Rückzug ist ebenfalls eine wichtige Komponente des Wohlbefindens!

Das deutsche Zukunftsinstitut hat 2017 eine Studie zur «Neuen Achtsamkeit» herausgegeben und beschreibt darin das Social Cocooning als Gegenbewegung zu unserer unverbindlichen, schnellen Welt, als Rückzug in die eigenen vier Wände.

Ich halte den sozialen Aspekt, den der Begriff «Social Cocooning» enthält, für sehr wichtig. Viele Studien, darunter eine Langzeitstudie der Harvard University, zeigen, dass das soziale Umfeld unser psychisches und körperliches Wohlergehen langfristig am meisten beeinflusst. Die Frage ist also, wo diese sozialen Kontakte stattfinden. Wenn wir uns zu sehr in unsere eigenen vier Wände zurückziehen, laufen wir Gefahr zu vereinsamen. Und wenn wir dabei nur soziale Medien konsumieren, wird das Bedürfnis von echtem sozialem Austausch nicht genährt. Die Frage, wo wir authentische, echte und wahre Beziehungen eingehen können, wird uns in Zukunft sicher noch sehr stark beschäftigen.

Ist die Überforderung in unserer komplexen, ­digitalisierten Welt grösser als wir meinen?

Die Digitalisierung spielt bei diesen Trends sicher eine wichtige Rolle. Die sozialen Medien mit ihren Likes und Klicks lösen bei uns zwar echte Dopamin-Kicks aus, eine umfassende Sinneserfahrung liefern die digitalen Kommunikationsmittel aber nicht. Die Sinneserfahrungen sind auch bei Lieblingsorten wichtig: Wenn es an einem Ort nicht gut riecht, wird das kaum unser Lieblingsort werden. Ein koreanischer Designer hat den Begriff des «5-Sinne-Designs» geprägt. Er sagt, ein Gegenstand mache uns nur glücklich, wenn er alle unsere fünf Sinne anspricht: wenn er gut aussieht, sich gut anfühlt, gut riecht und so weiter. Das gilt sicher auch für die Lieblingsorte.

Apropos Sinne: Die werden in der Küche intensiv beansprucht. Und gemäss der Studie des Zukunftsinstituts spielt beim Social Cocooning auch der kreative und gemeinschaftliche Prozess der Essenzubereitung eine wichtige Rolle. Die Küchen werden zu einem heimeligen Treffpunkt, in dem viel Austausch stattfindet.

Zu den WG-Zeiten während meines Studiums sassen wir immer in der Küche, obwohl wir eigentlich auch ein Wohnzimmer hatten. Die Küche ist definitiv ein wichtiger Treffpunkt. Nicht umsonst wird die Küche auch als «Lagerfeuer der Gegenwart» bezeichnet. Man kann sich unverbindlich dazusetzen und entweder reden oder im übertragenen Sinn nur das Feuer beobachten. Es gibt keine sozialen Ansprüche, man muss nicht Leistung erbringen, sondern kann sich entspannen und fühlt sich verbunden.

Hat die Corona-Pandemie mit den Schutzmassnahmen diese Rückzugstrends verstärkt?

Sie hat uns dazu gezwungen, uns in den eigenen Kokon zurückzuziehen. Das war für einige Menschen eine Grenzerfahrung, für andere eine Entlastung: Man durfte einfach zu Hause sein und brauchte keine Rechtfertigung, um Sachen abzusagen. Bei vielen hat diese Zeit eine Reflexion darüber ausgelöst, ob sie sich zu Hause wirklich wohlfühlen. Sie haben angefangen,
die Wohnung umzugestalten und gemütlicher zu machen. Generell hat in dieser Zeit auch die Reizüberflutung abgenommen, man war weniger unterwegs, und die Verlockung, zu konsumieren, war ebenfalls kleiner. Wir waren gezwungen, uns selber auszuhalten und die ­Aufmerksamkeit im Positiven auf uns selber zu richten. Mich als Awareness-Coach hat das natürlich gefreut.

Wie definieren Sie Awareness – oder eben Achtsamkeit?

Bei der Achtsamkeit geht es darum, den Moment sehr bewusst wahrzunehmen. Wenn man isst, konzentriert man sich aufs Essen und nimmt das bewusst wahr, beim Spazieren nimmt man das Spazieren bewusst wahr, beim Duschen das Duschen, beim Kochen das Kochen. Ich unterscheide zwischen Achtsamkeit und Bewusstheit: Bei der Bewusstheit geht es darum, dass Leute, mit denen ich als Coach arbeite, sich ihres Funktionierens bewusst werden und es verstehen. So können sie ihre Muster erkennen und bei Bedarf ändern.

Was löst der Satz «Wir machen deinen Lieblingsort» bei Ihnen aus, der die Philosophie von ­Stucki&Müller prägt?

Ganz ehrlich: Er löst in meinem Körper und in meinen Gefühlen sofort etwas aus. Das zeigt, dass mein emotionales Hirn stark beteiligt ist. Ich denke mir: «Gerne! Sofort machen!» (lacht.) Der zweite Gedanke ist dann: «Was kostet das wohl?», weil das Wort «Lieblingsort» so viel verspricht. Der Satz enthält auch das Wort «deinen». Es geht also um etwas, was mich ausmacht und repräsentiert. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Leute von ­Stucki&Müller nicht irgendetwas machen, sondern auf meine Bedürfnisse eingehen und mir zuhören, was mir gefällt und was sich für mich gut anfühlt. Das wäre mein Anspruch an diese Dienstleistung. Ich habe nämlich ein ziemlich konkretes Bild, wie mein Traumhaus und meine Traumküche aussehen könnten.

Wie denn?

Ich stelle mir ein eher kleines Haus im Bungalow-Stil vor. Die offene Küche ist das Zentrum dieses Hauses. Sie ist in eher dezenten Naturfarben gehalten, hat einen Natursteinboden und enthält Holz. Die Qualität ist mir sehr wichtig. Ich mag es nicht, wenn Schubladen nach ein paar Wochen klappern. Ich habe auch ein ästhetisches Empfinden für Symmetrien, das heisst die Schranktüren müssten nach einiger Zeit noch immer bündig sein. Ein grosses Spülbecken müsste sie haben und eine variable Beleuchtung. Für präzises Arbeiten ein helles Licht, ansonsten eher eine warme, romantische Beleuchtung. Am liebsten hätte ich mehrere Lichtvarianten, mit denen ich spielen könnte.

Woran sollten Küchenbauer bei der Planung ­einer guten Küche denken?

Neben der Individualität ist es sicher vorteilhaft, wenn man die Theorie der fünf Sinne einbezieht. Der Geruchssinn wird beim Kochen sowieso beansprucht. Die Ästhetik ist ebenfalls wichtig, und auch das verwendete Material kann Gemütlichkeit vermitteln. Das Fühlen der Beschaffenheit und Textur eines Materials trägt unterschwellig zum Wohlbefinden bei. Für mich klingt das «Bauen deines Lieblingsorts» übrigens nach einem absoluten Traumberuf! Das regt gleich Ideen an. Ich könnte mir gut vorstellen, ­Stucki&Müller bei der Planung von Bädern und Küchen mit psychologischen Erkenntnissen zu unterstützen.

Die Bedeutung der Planung einer Küche, eines Bads oder eines Wohnzimmers ist also nicht zu unterschätzen?

Generell ist es wichtig, seine Lieblingsorte zu pflegen. Es lohnt sich also, sich eine schöne Küche, ein schönes Bad oder ein schönes Wohnzimmer zu gönnen. Ich denke sogar, man sollte dort mehr investieren als in die Grösse eines Hauses. Im Internet kann man sich dabei sehr gut inspirieren lassen: Es gibt zum Beispiel Leseecken, die in die Wand eingelassen sind. Solche Nischen können auch zu Lieblingsorten werden. Es ist bewiesen, dass bereits die Vorstellung von solchen Plätzchen emotionale Reaktionen bei uns auslösen. Aufgrund von Bildern können wir also sehr schnell sagen, was uns behagt und was nicht.

Und wenn man seine Lieblingsorte gefunden hat?

Dann sollte man diese regelmässig aufsuchen und sie auch hegen. Denn sie tun einem wirklich gut! Falls es einem einmal nicht so gut geht, sollte man sich fragen, ob man seine Lieblingsorte schon länger nicht mehr besucht hat. Statt mich vom Stress auffressen zu lassen, pflege ich den Besuch solcher Orte ganz bewusst. Dort lege ich das Handy ganz diszipliniert weg, damit ich die Sinne wirklich spielen lassen kann und der Achtsamkeit eine Chance gebe. Dazu kommt der soziale Aspekt: Idealerweise teilt man gewisse Orte mit Lieblingsmenschen oder hat auch Lieblingsorte, wo sich angenehme Menschen aufhalten.

 

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Zur Person Simone Tschopp

Simone Tschopp (43) ist Psychologin (lic. phil. Universität Bern) und systemisch-lösungsorientierter Coach (wilob, ZSB und ZHAW).

Sie arbeitet seit 2010 in einer eigenen Praxis, bietet Coachings für Firmen und Einzelpersonen an, hält Referate und gibt Workshops in Stressmanagement. Als Spezialistin für lösungsorientierte Beratung hat sie mit «Lösungsparkour.ch» auch ein Buch veröffentlicht.

Ihre Freizeit verbringt die ehemalige Spitzensportlerin (Schweizer OL-Nachwuchskader) mit Outdoor-Sport, Handwerk und Design. www.awarenesscoach.ch

 

 

 

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